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Der Schweizer fiktive Experte Dr. Beschuli
Dr.
Beschuli
der
Modearzt für Fragen der
Schulvermeidung,
der
Fachmann aus dem
deutsch-sprachigen Ausland.
Dr. Beschuli gibt Denkanstöße für
-
Leute, die nicht gern zur Schule gehen,
-
gelegentliche Unterrichtsvermeider,
-
Schulvermeider,
-
Bekehrte Schulvermeider (Ehemalige),
- diejenigen, die Schulvermeidung spürbar reduzieren wollen. z.B. Kultusminister,
und natürlich für Leute, die noch nie über Schulvermeidung
nachgedacht haben. (Ach ja, die sind hier vielleicht sogar falsch).
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Heute (3. Januar 2003): Vier Möglichkeiten statt zwei.
Pädagogen und Psychologen, und natürlich die Eltern, gehen davon aus:
Das Hingehen zur Schule führt zu einer guten beruflichen und persönlichen Zukunft (A)
Das Fernbleiben von der Schule bewirkt eine schlechte berufliche und persönliche Zukunft (B)
Warum kommt das bei einigen Mädchen und Jungen so schlecht rüber?
Ganz einfach, weil es nur die halbe Wahrheit ist.
Die GANZE Wahrheit sieht so aus:
|
Mädchen/Junge hat eine günstige persönliche und berufliche
Zukunft
|
Mädchen/Junge hat eine ungünstige persönliche und berufliche
Zukunft
|
Mädchen/Junge geht zur Schule
|
A
|
C
|
Mädchen/Junge geht NICHT zur Schule
|
D
|
B
|
Lebensgeschichten A und B werden
gern erzählt,
Lebensgeschichten C und D lassen Leute, die Ordnung im Leben lieben,
sauer aufstoßen. Aber – ich vermute, es gibt sie.
Seht euch doch mal
Ältere an, die mindestens
Mitte Zwanzig sind, wie es bei denen war und ordnet sie einem der
Buchstaben zu. Wie häufig sind A, B, C, D?
Euer
Dr. Beschuli.
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3. Folge.
Wer schadet wem?
Wir konnten Dr. Beschuli kurz vor dem Betreten seiner Praxis abfangen und ihm die entscheidende Frage stellen:
Doktor, sagen Sie bitte in einem Satz, was sagen
Sie Schülerinnen und Schülern, die angefangen haben, die Schule
zu schwänzen?
Dr. Beschuli: Wegbleiben ist Geld der Eltern 'rausschmeißen. Die zahlen
nämlich mit ihren Steuern für die Schule. Oder: wenn sie keine Steuern
zahlen, zahlen andere.
Gehe hin, tu was, und verlange auch von der Schule eine anständige
Leistung. Die soll dir helfen und dich nicht hängen lassen.
Und noch was, liebe Schwänzerin, lieber Schwänzer: wenn du wegbleibst,
weil du die Lehrkraft nicht abkannst, tust du ihr doch nur einen
Gefallen.
Die kann dich wahrscheinlich auch nicht ab und ist froh, wenn du wegbleibst. Und das willst du wirklich?
Aja, Doktor, wie machen Sie das bloß, zwei Sätze und wir kommen in tiefes Grübeln.
Ab in die Schule. Ab heute wird gekämpft.
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12. Folge.
Ein Interview
Gewohnheiten und Vermeidung
Schucom: Geht es Anton weiter gut in der Schule?
Dr. Beschuli
Im Allgemeinen geht es ihm gut. Vor kurzem hatte er wieder eine kleine
Krise, wir haben darüber gesprochen. Dazu bin ich ja da, der Notnagel
für die, die es eigentlich geschafft haben.
Schucom:
Woran arbeiten Sie im Augenblick, Herr Doktor?
Dr. Beschuli
Ich denke nach. Über die Schwierigkeit, Gewohnheiten aufzugeben. Der
Mensch neigt dazu, seine Gewohnheiten beizubehalten, selbst wenn sie
ihm nicht nützen oder sogar schaden.
Schucom: Aber das ist ja auch entlastend, man tut einfach, was man immer tut. Man muss sich dann keine Gedanken machen.
Dr. Beschuli
Da haben Sie recht.
Schucom: Man geht zur Arbeit, man geht zur Schule, man lebt mit seinem Partner
zusammen, auch wenn es keinen Spaß macht. Oder: es macht Spaß, aber das
hat eigentlich gar nichts damit zu tun.
Dr. Beschuli
Sie sagen es. So dreht das Rad sich immer weiter.
Schucom: Aber einige Schüler fangen an zu schwänzen. Das ist dann gegen ihre Gewohnheit.
Dr. Beschuli
Bei genauem Hinsehen nicht, es sind meist die, die Schwierigkeiten aus
dem Wege gehen. Das ist ihre Gewohnheit. Es sind die, die sich hinter
ihrem Hintermann oder ihrer Hinterfrau klein machen, damit die
Lehrkraft sie nicht sieht. Die nicht vom Klo zurückkommen, wenn die
Lehrkraft sie mal in der Stunde gehen lässt. Die nicht für das Diktat
üben, weil das so ätzend ist, obwohl sie erfahren haben, dass sie nach
dem Üben eine Drei, ohne Üben eine Sechs schreiben.
Schucom: Das Diktat kommt erst morgen, das Üben ist heute schon ätzend.
Dr. Beschuli
Und dann heißt der nächste Schritt: auch nicht zum Diktat gehen.
Schucom: Das Motto ist: schaffe dir für die nächsten Stunden Luft.
Dr. Beschuli
Menschen mit dieser Gewohnheit, nämlich zu Vermeiden, kann man nur
helfen, indem man es ihnen unmöglich macht, zu vermeiden. Aber das ist
nicht einfach. Außerdem ist vermeiden ja nicht immer falsch.
Schucom: Wie wäre es, wenn man ihnen beibringt, das Vermeiden zu vermeiden?
Dr. Beschuli
Hallo, Herr Redaktör, Sie sind aber heute gut drauf. Machen Sie so weiter, dann biete ich Ihnen an, mein Assistent zu werden.
Schucom: Dann vermeide ich meine Redaktörs-Tätigkeit.
Dr. Beschuli
Und ich vermeide mein Einzelgängertum.
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13. Folge
In den Brunnen fallen
Heute:
Schucom: Was ist eigentlich schlimmer, mit Qual zur Schule zu gehen und nichts aufnehmen zu können, oder gar nicht hingehen?
Dr. Beschuli
Nicht Hingehen ist erst einmal
entspannender. Es gibt aber auch Schülerinnen und Schüler, die quälen
sich gar nicht und gehen trotzdem hin. Und andere quälen sich, finden
es aber völlig undenkbar, von der Schule weg zu bleiben.
Schucom: Schulvermeider sind eben nicht gleich Schulvermeider.
Dr. Beschuli
Genau, wie sagt man so schön?
Es handelt sich um eine heterogene Gruppe. Und das heißt, verschiedene
Schulvermeider benötigen auch unterschiedliche Unterstützung.
Schucom: Wir brauchen ein flexibel reagierendes Schulsystem.
Dr. Beschuli
Greifen wir in den großen Topf
der möglichen Zustandsbilder und sehen uns die Schülerinnen und Schüler
an, die von Anfang an erfahren: du hängst hinten dran. Du lernst die
einfachsten Dinge nicht richtig. Du kannst in der achten Klasse immer
noch nicht 15 % von 4 € ausrechnen. Und liest keinen Text von zwanzig
Zeilen ohne dich zu verheddern.
Schucom: Du musst aber immer so tun, als verstündest du was von Formeln, Nullstellen und Achsensymmetrie.
Dr. Beschuli
Oder als wenn du ganze Bücher liest. Deine Texte strotzen vor Fehlern.
Schucom: Du bleibst sitzen und die „Kurzen“ sind fast alle wieder besser als du.
Dr. Beschuli
Denen zeigst du dann auf andere Weise deine Überlegenheit.
Schucom: Zum Beispiel, dass du ungestraft oder unbeeindruckt von Strafen Normen übertrittst.
Dr. Beschuli
Zum Beispiel einfach vom Unterricht wegbleibst. .
Schucom: Wenn du erst einmal da bist, dass du gar nicht mehr zurechtkommen willst ...
Dr. Beschuli
Dann wirst du auf
Nachhilfe-Angebote oder Erforschung deines Seelenlebens nicht unbedingt
Wert legen. Sondern auf die Freiheit und Stärke, die du dir erworben
hast. Sehen Sie sich mal an, wie manche Schüler in sogenannten
Reintegrationsmaßnahmen mit den Pädagogen Katz und Maus spielen.
Schucom: Also: dann
Schülerinnen und Schülern Angebote machen, wenn sie noch keine sozial
unangepasste Lösung für ihr Problem gefunden haben.
Dr. Beschuli
Pädagogen dürfen nicht zur Tagesordnung übergehen, wenn jemand die Basisfähigkeiten nicht erwirbt.
Schucom: Leichter gesagt als getan.
Dr. Beschuli
Zumal die sozialpädagogische
und psychologische Alltagsarbeit von Politikern nicht gerade geschätzt
und gefördert wird. Wir sparen ja schließlich. An einem Ende, das
möglicherweise das falsche ist. Spektakuläre Maßnahmen mit Leuten, die
schon in den Brunnen gefallen sind, lassen sich besser vermarkten im
Sinne von „Die tun was.“ Immer erst nach dem Kolbenfresser in die
Werkstatt.
Schucom: Dr. Beschuli, das ist nun aber doch ein bisschen pauschal.
Dr. Beschuli
Was rege ich mich eigentlich auf. Ist die Schule richtig mies, verdient der Therapeut viel Kies.
Schucom: Dr. Beschuli sagte dies. Worauf der Reporter ihn verließ.
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18. Folge
Die Entdeckung der SED
Dr. Beschuli ist in
Zusammenarbeit mit dem Institut für bipolare Persönlichkeitsforschung
der Universität Bargteheide eine bahnbrechende Entdeckung gelungen –
wobei wir uns fragen, warum bisher noch niemand drauf gekommen ist.
Denn eigentlich ist es naheliegend. Es gibt einen pathologischen
Gegenpol zur Schulaversion:
die SED. Die Schul-Entzugs-Depression.
Genauso wie die Hochbegabung
vor lauter Beschäftigung mit der schwachen Begabung lange Zeit nicht
bemerkt oder gar verleugnet wurde, obwohl angesichts der
Normalverteilung von Persönlichkeitsmerkmalen einfach mit ihr zu
rechnen war, wurde schlicht nicht wahrgenommen: Viele Kinder und
Jugendliche lieben die Schule und brauchen sie und stürzen in tiefe
Verzweiflung, wenn die Institution, die ihnen Sinn und Geborgenheit
verleiht, temporär die Pforten schließt.
Natürlich finden Schulschwänzen
und Schulaversion viel mehr Beachtung. Es ist wie mit dem Alkohol: „Wir
haben früher doch selber geschwänzt, hö hö hö. Aber man muss natürlich
wissen, wann Schluss ist, hö hö hö.“
Doch wer gibt schon zu, dass
sie oder er die Schule MAG. I gitt, Streber, Speichellecker. Die sind
doch genau so daneben wie diese Linkshänder, die mit dem Handballen
alles aufwischen, was sie zu Papier gebracht haben. (Dr. Beschuli ist
übrigens Linkshänder und hat eine wunderschöne Handschrift. Regeln
bestätigen die Ausnahme).
Dr. Beschuli und seine genialen
Kumpels vom Institut für bipolare Persönlichkeitsforschung der
Universität Bargteheide fanden nun folgerichtig: wenn man den
Interviewten den vollen Persönlichkeitsschutz in puncto Vertraulichkeit
angedeihen lässt, dann kommt es raus: genau so viele Menschen sind
schulentzugsdepressiv wie schulaversiv eingestellt. Siehe Abbildung.
Schulentzugsdepressive Kinder
und Jugendliche fallen natürlich in der Schule nicht auf, weil es ja
gerade das Wesen der Schul-Entzugs-Depression ist, dass sie nur unter
Schulentzug auftritt.
![Normalverteilung](drbeschuli18_html_2beb0927.gif)
Doch kaum beginnen die
Schulferien, ist das Wartezimmer voll bei Dr. Beschuli, alles
SED-Leidende. Einge lesen weinend in einem Schulbuch. Andere packen,
sowie das Telefon klingelt, ihr Schulbrot aus, weil sie das
Pausenzeichen halluzinieren. Wieder andere werfen mit Papierkügelchen,
wie sie das im Unterricht gewohnt sind, aber niemand wirft zurück. Gute
Schüler haben wochenlang niemanden zum Abschreiben. Wieder andere
fühlen eine innere Leere, weil der Nervenkitzel angesichts nicht
gemachter Hausaufgaben ausbleibt. Denn, in den Ferien hat man ja nichts
auf. Und erst mal die Jungens, die niemanden verkloppen können, weil
ihre Opfer alle verreist sind. Sie hauen dauernd mit dem Kopf gegen die
Wand. Das Schlimmste aber ist: Mutter fragt mittags nicht: „Na, wie
war's?“ Und niemand sagt morgens: „Pass schön auf und benimm dich.“ In
den Ferien braucht man nicht aufzupassen und benehmen kann man sich
auch wie man will. Aber das ist trostlos langweilig!
Da schlurfen sie nun durch die
elende Welt, von der Schule, den Lehrkräften, den Mitschülern
verlassen, ohne den geliebten Geruch von Linoleum und Schweiß in der
Nase. Sogar den Krach muss man jetzt ganz alleine machen.
Dr. Beschuli richtet gerade
eine Klasse für SEDs ein. 10 Schweizer Franken Praxisgebühr und die
SEDs dürfen zwei Stunden knackigen Unterricht genießen, langweiligen
Lehrervortrag, Abschreiben von der Tafel, schwere, schwere
Klassenarbeiten mit ordentlichem Zeitdruck. Und Hausaufgaben gibt der
Beschuli auf! Und er macht ein Riesen-Theater, wenn die nicht gemacht
oder falsch sind. Ach ist das schön. Gegen Aufpreis bestellt er die
Eltern ein. Endlich ist abends in der Familie wieder was los.
Heilungsquote 98%. Das zahlt sogar die Ortskrankenkasse.
Grüetzi, mitanand. Euer Beschuli.
© Dr. Uwe Wiest, Delmenhorst 2004