Diese
Satire habe ich angesichts des damaligen Erfolges der "Transzendentalen
Meditation" geschrieben, aber auch aufgrund meiner Erfahrungen mit der "Progressiven Muskelentspannung".
Wer sehnt
sich
nicht nach einer Methode, den
ätzenden Erfahrungen im Beruf und im Privatleben etwas Positives
abzugewinnen, ja, so umzuwandeln, dass Ärgernis zum Genuss wird?
RIDÖ hat
das Zeug
zu einer stillen Revolution. Gleichmut als Waffe gegen widrige
Situationen, denen man nicht entkommen kann. RIDÖ führt zu wahrer
persönlicher Unabhängigkeit.
Die entspannte Gesellschaft
Institut
für westliche wachheit
(wewa)
Betr.:
Sekten. Hier: Die RIDÖ-Bewegung
Während
insbesondere die Kirchen, aber auch die westdeutschen Kultusminister,
vor den Jugendsekten warnen, hat sich heimlich, aber mit großem
Erfolg, eine Bewegung etabliert, die alles Dagewesene übertrifft:
Die
RIDÖ-Bewegung.
RIDÖ
schien zunächst eine ärmliche Nachahmung der "Transzendentalen
Meditation" zu sein. Mittlerweile lässt sich feststellen, dass
RIDÖ bereits zwischen 10 % (Schätzung des Vatikans) und 70%
(Schätzung der RIDÖ-Monatsschrift "Stille im Hirn“, 4.
Jahrgang, Heft 3, Seite 44 f.) der Bevölkerung erfasst hat. Die
Wahrheit Iiegt, sicherlich irgendwo in der Mitte, doch beide Zahlen
halten wir für besorgniserregender als die Krankheitsziffern des
Deutschen Waldes.
Was
ist RIDÖ?
RIDÖ
geht auf den Sektengründer Richard Hacktal-Döner zurück.
Hacktal-Döner, ein eingefleischter Vegetarier und evangelikaler Sufi
deutsch-türkischer Nationalität, behauptet, dass seine
Meditationstechnik schon vor 3000 Jahren in Kleinasien ausgeübt
wurde.
Tatsächlich
handelt es sich bei seiner Lehre um eine Anpassung des TM-Konzepts
an westliche, insbesondere deutsche Gegebenheiten und Bräuche. TM
hat ja erfahren müssen, dass eine von einem Inder angeführte
Bewegung von den meisten Deutschen nicht angenommen wird, Hinderlich
für eine Verbreitung der Transzendentalen Meditation war vor allem,
dass man, vor sich her dösend, indische Wörter murmeln oder denken
sollte, die man nicht verstand.
Nun
ist die Majorität in Deutschland nach wie vor der Ansicht, dass gute
Ideen deutsche Ideen sind, und dass die Inder erst mal ihre Kühe
schlachten und richtig arbeiten sollen, und vor allem sich nicht
gegenseitig umbringen sollen, aber bei uns den Frieden
herbeimeditieren, das haben wir gerne usw.
In
der Anfangsphase tat Hacktal-Döner (der sich "seine geringe
Eiligkeit" nennen lässt und sich auf Video-Aufnahmen stets in
Zeitlupe bewegt) das, was Luther mit der lateinischen Liturgie getan
hat: er deutschte TM ein: seine einfache Meditationsvorschrift:
Man
setze sich auf einen Stuhl, lehne sich nicht hinten an, lege die
Hände auf die Oberschenkel und halte den Kopf kerzengerade. Man
schließe die Augen, atme tief ein und aus und denke beim Einatmen
"Ri" beim Ausatmen "Dö“„ Dies tue man zweimal 20
Minuten täglich,
Ri
steht für Richard, Dö für Hacktal-Döner. Anfänglich durfte bei
entleerter Lunge noch ein Ha für Hacktal gedacht werden.
Dem
Vorwurf des Personenkults entging Hacktal-Döner durch die Deutung
von RIDÖ als "R i t u e l l e s D ö s e n “. Das war
der erste Durchbruch, konnten die Anhänger doch jetzt meditieren und
verstanden gleichzeitig, was sie da als Mantra benutzen.
Riiiidöööööööhhh entspannte Tausende.
Die Monatszeitschrift
"Stille
im Hirn", gegründet 1983, die wie eine russische
Dissidentenpostille heimlich von Hand zu Hand geht, wurde ein voller
Erfolg. Untertitel: Mitteilungsblatt der internationalen
RIDÖ—Universität, Herausgeber: Rigobert Dörre, Dipl.Psych.
In
dieser Zeitschrift jagte eine sensationelle Untersuchung die andere:
eine
Vergleichsuntersuchung in 24 Ländern ergab: zweimal 20 Minuten
täglich RIDÖ erspart im Durchschnitt mehr als eine halbe Stunde
Schlaf.
RIDÖ
am Arbeitsplatz führt zu deutlich erhöhter körperlicher und
geistiger Frische in der Freizeit.
In
einem pfälzischen Landkreis stieg die Fruchtbarkeit von
RIDÖ-Praktizierenden im Vergleich zu einer Kontrollgruppe
signifikant an.
In
einem anderen Landkreis nahm die Fruchtbarkeit von
RIDÖ-Praktizierenden signifikant ab. Die Untersucher vermuteten
einen Zusammenhang mit der gestiegenen Gedächtnisleistung. Aus
Datenschutzgründen nennen wir diesen Landkreis nicht.
Andere
Ergebnisse zensierte der Meister als nicht veröffentlichungsfähig:
So
häuften sich Arbeitsunfälle bei RIDÖ-Praktizierenden. Harmlos
waren noch die von ihren Bürostühlen fallenden Beamten. Nach dem
Absturz eines Hochhausfensterputzers verzog Richard Hacktal-Döner
unbekannt.
Andere
Arbeitnehmer, die nicht beweglich genug waren, ihre RIDÖ-Ubung zu
verschieben, wenn der Chef zugegen war, verloren ihren Arbeitsplatz.
Die Krise war da. Doch seine geringe Eiligkeit erkannte, dass eine
einschneidende Änderung seiner Lehre; fällig war.
1984:
"Stille im Hirn“, Heft 1: Originalton Richard Hacktal-Döner:
"Der
Fehler der Vergangenheit war, RIDÖ an ein bestimmtes verfremdendes
Ritual zu binden. Meine umfangreichen Beobachtungen menschlichen
Verhaltens offenbarten mir, dass Millionen von Menschen ganz
natürlich RIDÖ ausüben, ohne dass dieses ihnen je beigebracht
wurde. Dies erkennen auch Sie, wenn Sie sich von den konventionellen
Ansichten über Meditation lösen. Es ist eben nicht
erforderlich, sich zurückzuziehen, die Augen zu schließen, eine
bestimmte Sitzposition einzunehmen und bestimmte Handlungen
vorzunehmen. Rituelles Dösen ist ein innerliches
Verhalten, das nicht gebunden ist an ein sichtbares Zeremoniell.
Schalten
Sie Ihren Fernseher an, betrachten Sie einen deutschen
Bundestagesabgeordneten, wie er da sitzt, mit offenen Augen, in einer
Mappe1 blätternd, zu Reden seiner Parteifreunde
applaudierend, am Ende
einer solchen.
Beobachten
Sie, wie jemand dieselbe Rede hält, die er auch schon vor vier
Jahren gehalten hat. Er wirkt engagiert, reißt seine Zuhörerschaft
mit - doch 98% des Großhirns ist völlig inaktiv, in einem tiefen
Ruhezustand. Frisch verlässt der Redner den Bundestag, um sich
kraftvoll wirklichen Aufgaben zuzuwenden..."..."Das ist
RIDÖ!"
"...RIDÖ
heißt: Mit minimaler Energie die Mimik und die Sprechwerkzeuge
bedienen, so dass Ihr Gegenüber einen voll aufmerksamen Menschen
erlebt, und dabei einen tiefen Ruhezustand und vollkommenen inneren
Frieden herstellen. RIDÖ heißt: heben Sie Ihre Kraft für die Dinge
auf, die Sie wirklich wollen. 2% der Hirnenergie für die
Vorgesetzten, die Parteifreunde, die Arbeitskollegen, den Ehemann, die
Ehefrau, das ist
völlig ausreichend..."
Und
weiter: "wir gehen einen wahrhaft umwälzenden, revolutionären
Weg: die natürliche Konzentrationsunfähigkeit, die schon unsere
Schullehrer bemängelten, und die uns davor bewahrt hat, den ganzen
Ballast des Schulwissens aufzunehmen und zu behalten, definieren wir
um in eine positive Kraft!"
"...Sicher
ist es vermessen, zu behaupten, alle Leute, die anderen nicht zuhören
aber so tun als ob, die weggetreten irgendwo sitzen, betrieben RIDÖ.
Dies ist nur die halbe Wahrheit, denn sie tun es kaum absichtlich
oder würden es nie zugeben. Sie haben deswegen auch oft
Schuldgefühle und können diesen Zustand daher nicht genießen und
nutzen."
In
„Stille im Hirn“ 2. Jahrgang, Heft 2, S. 28f.: schreibt Rigobert
Dürre: "...wir Westeuropäer müssen immer etwas Äußerliches
zu tun haben, sonst langweilen wir uns. wir können es nicht
zulassen, zu beobachten, wie schön es ist, nichts zu tun zu haben,
und denen zu danken, die uns so wenig stimulieren, dass wir uns
dieses Nichts-tun ganz akzeptiert leisten können.
Auch
hier seien uns die Parlamente Vorbild, wobei die des Ostblocks bzw.
des sozialistischen Lagers vorbildlich sind: keine Gegensätze, die
gleichen verbalen Versatzstücke, unbewegtes Da sitzen,
undurchdringliche Mimik, das Ganze stundenlang.
Niemand
hat bisher bemerkt, was der Ausdruck "Sozialistisches Lager"
wirklich bedeutet. Damit ist die positive Langeweile, das innere
Ausruhen gemeint, das eintritt beim Hören oder Lesen von
Planerfüllungszifferm und Abrüstungsappellen. RIDÖ ist "inneres
Lagern".
Wir
vom Institut für westliche Wachheit möchten hier einwerfen - genau
das ist der Punkt: die westliche„Zivilisation ist möglich geworden
durch des brennende Verlangen nach Neuem, die Angst vor dem
Stillstand und der Ruhe, durch den rastlosen Wunsch nach Fortschritt.
Und hier kommt eine Sekte im wissenschaftlichen Gewande daher und
versucht uns einzulullen, uns den Stillstand, die Apathie, als
Fortschritt und wahres Menschsein zu verkaufen.
Doch
wie setzte Richard Hacktal-Döner seine neuen Einsichten in die Tat
um?
Er
beobachtete, dass viele Menschen es nicht fertigbringen, zwei mal 20
Minuten etwas kontinuierlich zu tun. Selbst wenn das Etwas sehr viel
Spaß macht. Seine Anhängerzahl stagnierte. Der Ausweg konnte nur
heißen: biete den Leuten etwas an, was sie zu keinerlei neuen
Lebensgewohnheiten zwingt. Lasse sie das tun, was sie ohnehin tun.
Zusammen
mit Rigobert Dürre entwickelte er eine Technik, die sich das Prinzip
der Generalisierung zunutze machte:
Wir
zitieren aus dem Kursheft:"RIDÖ in der Schule - der
spannungsfreie Lehrer": "Sie sitzen in einer Konferenz -
natürlich müssen Sie hingehen, obwohl sie furchtbar langweilig sein
wird und nichts dabei herauskommt. Drei Kollegen halten endlose
Wortbeiträge, niemand unterbricht sie, denn das hat sowieso keinen
Zweck. Gerade ist der Kollege Müller dran. Seit zehn geschlagenen
Minuten wiederholt er in ätzender Ausführlichkeit seine sattsam
bekannten Positionen.
Sie
lehnen sich zurück und sehen den Kollegen Müller unverwandt an. Sie
atmen ruhig und regelmäßig und denken beim Einatmen "Ri"
und beim Ausatmen "Dö". Ihre ärgerlichen Gedanken werden
zusehends milder. RIDÖ drängt sich in den Vordergrund, andere
Gedanken klingen wellenförmig ab. Müllers Gesicht und seine sich
monoton bewegenden Lippen werden zu einem beweglichen Farbfleck..."
"Immer, wenn Sie Müller
begegnen, praktizieren Sie RIDÖ. Eines Tages merken Sie: Müller IST
RIDÖ! Müllers Anblick beruhigt Ihre Atmung, schenkt Ihnen inneren
Frieden.“
"...Der
Konferenzraum bekommt dieselbe Wirkung. Er wird RIDÖ! Freudig
erwarten Sie die nächste Konferenz, den Hort der geistigen
Erholung..."
"...RIDÖ
sprengt Ihre Fesseln. Mit wie vielen Leuten müssen Sie umgehen, die
Ihnen nichts zu sagen haben und denen Sie nichts zu sagen haben? An
wie vielen Orten: Büros, Besprechungszimmern, Fabrikhallen - müssen
Sie sein, die Sie freiwillig nie aufsuchen würden?
Sie
machen sie alle zu RIDÖs! Nicht die Leute, die Situationen machen
etwas mit Ihnen, Sie machen etwas mit den Leuten und Situationen!"
"SIE
SIND FREI, OHNE DASS IRGENDJEMAND DAVON ETWAS MERKT!"
1985/86
produzierte das RIDÖ-Team, bereichert um die Schriftstellerin Rita
Dökel, einen Kurs nach dem anderen. Selbstverständlich waren die
Kurse nicht im Buchhandel zu kaufen, sondern wurden im
Schneeballsystem vertrieben. Jeder RIDÖ—Wissende verbreitete in
seiner Bezugsgruppe den entsprechenden Kurs an drei vier andere.
Damit verbunden war auch eine entsprechende Einweisung, nie mehr als
vier Termine.
Die
neue RIDÖ—Methode war ein enormer Erfolg. Die Leute fühlten sich
besser, lockerer, Bedürfnisse nach Urlaub schwanden völlig, sie
verbreiteten Freundlichkeit, psychosomatische Beschwerden gingen
zurück, der Arbeitseifer schien zuzunehmen.
Die
Kurse waren keineswegs teuer,
wenigstens zunächst nicht, da sie aber geheim gehandelt wurden, und
da die RIDÖ Druckereien die Nachfrage nur schleppend befriedigen
konnten, stiegen die Preise schwindelerregend. Es entstand ein
Schwarzmarkt.
Das
Institut für westliche Wachheit merkt hier an, dass es
seltsamerweise nicht dazu kam, dass die Kurse fotokopiert oder
raubgedruckt wurden. Im Gegenteil, Richard Hacktal-Döner, „seine
geringe Eiligkeit“, wurde mit Geldspenden übersät, obwohl er nie
seine Kontonummer bekanntgab„ Die Fans bekamen sie heraus.
Natürlich
erfuhren auch Leute, die nicht RIDÖ praktizierten, von dieser
Methode. Aber es war schwierig. RIDÖ-Leute sind nicht gesprächig
was ihre Praktiken angeht und geben sich meist gar nicht als RIDÖs
zu erkennen. Dies führte zu großer Verunsicherung: wenn jemand
einem anderen andächtig zuhörte, wusste man nicht: interessiert
das, was ich sage, oder bin ich ein RIDÖ-Transfer?
Diese
Unsicherheit nahm vielen den Spaß am nöligen Reden. Konferenzen liefen
nun
häufig so ab, dass die Tagesordnungspunkte in wenigen Minuten
abgehandelt wurden und die RIDÖs dann zusammen blieben, um sich
selbst und sich gegenseitig zu entspannen. So dauerten Konferenzen
genauso lange wie bisher, aber liefen ganz anders ab.
Die
Kirchen fühlten sich außerordentlich bedroht. Sie füllten sich
nämlich wieder. Staatspastoren ließen sich so schön zu
RIDÖ-Transfers machen. a-men als Alternative zu ri-dö, das passt!
Unwissende
Lehrer stellten ihren Schülern oft hektische Fragen, um zu prüfen,
ob hier RIDÖ praktiziert wurde. Das hilft aber nicht, denn
Hacktal-Döner vermittelt in seinen Kursen, wie man bei eintönigen
Darbietungen einen, allerdings sehr kleinen und nicht die Ruhe und
Entspannung störenden, Teil des Gehirns zur oberflächlichen
Speicherung des Gesagten verwenden kann.
1986
gelang es Konstrukteuren bei SONY, ein tragbares EEG-Gerät
herauszubringen, das dem Träger ein akustisches Feedback seiner
Hirnstromtätigkeit liefert. Der Träger kann ständig überprüfen,
ob sich das Gehirn wirklich im angemessenen Ruhezustand befindet. So
kann die Bio-Feedback-Methode auch für RIDÖ genutzt werden.
Diese
Geräte, die wie normale Walkmen aussehen, sind schon weiter
verbreitet als die Walkmen selber. Damit Außenstehende nichts
merken, ertönt leise Musik aus einem Zweitlautsprecher, den man z.B.
unter einer Achsel trägt.
1987, im März, kam es zu
einem weltweit bekannt gewordenen Skandal im Institut für westliche
Wachheit. Fast alle Mitarbeiter wurden als RIDÖ—Praktizierende
entlarvt (was unsere Produktion an aufrüttelnden Artikeln mit Warnungen
vor RIDÖ
im übrigen überhaupt nicht beeinträchtigte) und ausgewechselt.
Seitdem sind die neuen Mitarbeiter alle verpflichtet, ihr
Hirnstrombild an eine Zentrale zu übermitteln, das auf das ständige
Vorhandensein von Beta-Wellen untersucht wird, Diese Regelung führte
zunächst zu einer hohen Personalfluktuation. ...
Uwe
Wiest. 1987
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